DDR-Zeitzeuge

"Aufgeben geht nicht!"

(Jk) Im Alter von 17 Jahren wurde Karl-Heinz Richter, geboren 1946 in Schwarzheide im Oberspreewald, zum Fluchthelfer der Jahrgangsstufe 11 des Ost-Berliner Max-Planck-Gymnasiums. Über seine Beweggründe, sich dem SED-Regime zu widersetzen, die Repressalien, die über ihn und seine Familie hereinbrachen, sowie seine Schlussfolgerungen über Freiheit und Diktatur sprach er vor der Jahrgangsstufe 11 (Q1) des OHGs am Mittwochvormittag, den 23. August.

Ebenso munter wie lebensnah berichtete der Zeitzeuge aus der Perspektive eines Siebzehnjährigen, der sich bereits früh den Forderungen der SED-Herrschaft verweigerte, indem er u.a. nicht der SED-Staatsjugend, der Freien Deutschen Jugend (FDJ), beitrat. Der damalige Leistungssportler, ausgestattet sowohl mit einem unerschütterlichen Selbstbewusstsein wie mit dem unbeugsamen Willen, seine Ziele zu erreichen, fand 1964 zusammen mit einem Freund heraus, wie man durch einen beherzten Sprung auf den nach West-Berlin fahrenden Nachtzug – den "Moskau-Paris-Express", so Richters gleichnamige Autobiografie – aus der Diktatur entkommen könne. Binnen weniger Wochen ermöglichte er seinen Freunden die Flucht in den Westen. Dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS) entging diese plötzliche Fluchtwelle selbstverständlich nicht: Die Jagd auf ihn war eröffnet. Als schließlich der nach West-Berlin schon entkommene Freund Karl-Heinz Richter die Warnung zukommen ließ, dass diesem die Verhaftung drohe, entschloss auch er sich zur Flucht, die jedoch unter dramatischen Umständen scheiterte. Richter rettete sich vor den Schützen der Grenzposten durch einen Sprung auf eine sieben Meter tiefer liegende Betonplatte, wobei er sich beide Beine und den rechten Arm brach. Trotzdem entkam er mithilfe seiner damaligen Freundin, die ihn dreieinhalb Kilometer in sein Elternhaus schleppte. Dort wurde er dann aufgrund des Verrates eines IM-Spitzels einige Tage später von der Staatssicherheit verhaftet.

Während seiner Inhaftierung und den Verhören durch die Stasi wurde er schwer misshandelt, zudem drohte ihm die Exekution. Trotz der erlittenen Qualen hielt er dicht und ermöglichte so noch zwei weiteren Freunden die Flucht. Die Konsequenzen fielen für ihn schrecklich aus: Die erzwungene Einsamkeit in der Einzelhaft, die Ungewissheit über sein weiteres Schicksal und die körperlichen Schmerzen, die sich aus den unversorgt gebliebenen Knochenbrüchen ergaben, lasteten schwer auf dem jungen Mann; unterkriegen ließ er sich allerdings nie. Nach einigen Monaten wurde er dann aus der Haft des Stasi-Gefängnisses in Berlin Hohenschönhausen entlassen; es folgten anderthalb Jahre Krankenhausaufenthalt. Auch in den Folgejahren blieb Richter dem DDR-Staat gegenüber unversöhnlich; die erfahrene Verfolgung und Drangsalierung, der frühe Tod seines Vaters und die erneute Inhaftierung prägten ihn sehr. Sein familiäres Glück zerbrach unter dem Druck der Diktatur: Seine Frau wurde während einer Haftstrafe misshandelt, die kleine Tochter der Familie fortgenommen und in ein staatliches Kinderheim verschleppt. 1975 konnte Richter nach Bewilligung seines Ausreiseantrages die DDR verlassen, engagierte sich aber in den Folgejahren als Fluchthelfer erneut. Sein bewegtes Leben führte ihn später sowohl nach Westafrika, in die arabische Welt und in die USA.

Seine Tätigkeit, Schülerinnen und Schülern aus seinem Leben zu berichten bzw. diese Lebenserfahrungen auch zu publizieren, begründet er mit der Wichtigkeit, die Freiheiten und Rechte eines Menschen zu verteidigen. Auf das erlittene Leid seiner Frau und seiner Tochter verweisend, appellierte er an das Publikum, an unserer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft politisch teilzuhaben: "Wir müssen aufpassen, dass niemand uns die Freiheit nimmt."

Befragt, warum er sich niemals hat unterkriegen lassen, begründet er mit seinem von Kindesbeinen aufgenommenen Selbstverständnis, Leistungssportler zu sein: "Du kannst einfach nicht aufgeben! Wenn ich mir sage, da will ich hin, dann tue ich das auch, und so blende ich das Drumherum einfach aus." Diese Motivation zu (ob-)siegen ist dem Referenten auch heute noch zu jeder Sekunde anzumerken, der große Applaus und die vielen Fragen nach Ende der Vortrages bezeugten die hohe Wertschätzung und Neugierde seiner jungen Zuhörerinnen und Zuhörer.

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